Die bereits um 1900 international aufgestellten großen Trossinger Harmonikaproduzenten Hohner, Koch und Weiss stellten nicht nur Harmonika-Instrumente bester Qualität her. Auch in Sachen Werbung zogen sie alle Register. Das heißt, sie griffen die angesagten Methoden des Marketings auf und waren neuen Trends gegenüber recht aufgeschlossen.

Voll im Trend lagen um 1910 die Briefmarken ähnlichen Reklame- oder Werbemarken. Oft originell, manchmal sogar ausgesprochen künstlerisch gestaltet, spiegeln sie den Zeitgeist wider, auch den kolonialistischen Blick auf die „unzivilisierten Völker“ auf fernen Kontinenten, die aber natürlich auch den Mundharmonikas und Akkordeons made in Germany zugetan sein sollten und entsprechend abgebildet wurden.

In Versform hieß es dann:

Selbst die Schwarzen in Afrika
tanzen nach „Weiss-Harmonika“

KOCH HARMONICAS
erfreuen jedes Menschenherz

Überwiegend finden sich jedoch folkloristische Motive: Menschen in Tracht, zünftige Wanderer, aber auch Seeleute und Familien bei der Hausmusik. Die Sehnsucht nach der Idylle mit Musik, mit Harmonikamusik, wird durch die kleinen bunten Werbemarken geweckt. In ihrer Vielfarbigkeit heben sie sich übrigens von den frankaturgültigen Briefmarken der Zeit um 1910 ab.

Praktischer Nutzen

Die Reklamemarken der Harmonikaindustrie waren nicht für das Schaufenster des Musikhändlers gedacht. Dafür waren sie einfach zu klein. Für die Geschäftspost der Harmonikahersteller waren sie jedoch bestens geeignet: Aufgeklebt auf der Vorderseite der Kuverts, wirkten sie als attraktiver Blickfang. Auf der Rückseite hatten sie sogar einen praktischen Nutzen: Bei nicht gummierten Umschlägen dienten die aufgeklebten Werbemarken zum Verschließen der Post.

Ganz offenbar endete mit dem Ersten Weltkrieg die Blütezeit der Werbemarken.

Die drei größten Trossinger Hersteller, Hohner, Koch und Weiss, ließen um 1910 etwa zwei Dutzend verschiedene Motive von Reklamemarken drucken.

Ein signifikanter Unterschied:

Marktführer Matth. Hohner AG brillierte zwar mit schönen Bildmotiven, verzichtete aber auf der Vorderseite auf Werbetexte. Außer den in großen Lettern am unteren Bildrand wiedergegebenen Firmennamen „M. HOHNER“ und dem Wort „Harmonika“ oder „Accordeon“ findet sich kein weiterer Text. Anders verhält es sich mit den Markenrückseiten. Siehe unten, Beschreibung des Titelbildesen der einzelnen Monatsblätter.

Die Konkurrenten Ch. Weiss und And’s Koch bezogen Texte, sogar gereimte Werbesprüche, in ihre kleinen Bildkunstwerke mit ein. In der Regel steht der Slogan oder Werbetext in direktem Bezug zur jeweiligen Abbildung und erhöht die Originalität der Reklamemarke ganz wesentlich.

Das Kalendertitelbild

Reklamemarke „Alle Welt spielt Hohner Mundharmonika“, gefertigt von der Firma „Jos. C. Huber, Diessen vor München“: Werbemotive mit dieser Botschaft ließ das aufstrebende Unternehmen bereits in den 1890er-Jahre entwerfen. Auf dieser Marke symbolisieren ein Indianer, ein Araber, ein (westlicher) Matrose sowie ein Asiate die Völkerschaften. Alle vier spielen vereint eine übergroße Hohner-Mundharmonika.

Ein kleinformatiges Werbeplakat mit exakt diesem Bildmotiv ist für das Jahr 1900 nachweisbar. Möglicherweise machte diese Reklamemarke um 1905 den Auftakt für die Serie, die Hohner dann auflegen ließ.

Aus dem Rahmen fällt das dieses Motiv, weil es das einzige Querformat darstellt und weil nur hier die Produktbezeichnung, in diesem Fall das Wort „HARMONIKA“, großformatig in die Unterzeile mit dem Firmennamen „M. HOHNER“ einbezogen ist.

 

Werbetext auf der Rückseite der Hohner-Reklamemarken mit Mundharmonika-Bildmotiv.
Text auf der Rückseite der Hohner-Werbemarken mit Akkordeon-Bildmotiv